Die Berlinale ist zuende. Nachdem ich bereits meine Filmeindrücke der ersten Festivalhälfte mit euch geteilt habe, hier nun die zweite. Insgesamt habe ich 28 Filme geschaut und bin sehr zufrieden. Auch wenn manche Werke nicht gerade meinem Geschmack entsprachen, boten sie doch interessante Eindrücke aus anderen Kulturen und regten an, die eigenen Gedanken und Ideen auf den Kopf zu stellen. Besondere Highlights habe ich rot markiert.
Den Beitrag über die ersten 13 Filme findest du HIER.
„Chi-Raq“
von Spike Lee
(Wettbewerb)
…war ein Feuerwerk aus visuellen Ideen, musikalischer Energie und Sex. Ein Musical über die Abgründe von Gewalt und Verwahrlosung in Chicago. Ernste Themen wurden mitreissend aufbereitet. Sicherlich nicht jedermanns Sache, aber absolut mein Ding. Ich stand permanent unter Strom. Lachen und Tränen folgten dicht aufeinander und das Entsetzen über die traurige Realität dieser Menschen war packend. Als der Abspann kam, jubelten die hunderten Zuschauer im Friedrichstadtpalast euphorisch – völlig zurecht.
[TRAILER]
„Er ist wieder da“
von David Wnendt
(LOLA Nominierungen)
… kam beim Publikum außerordentlich gut an. Vor allem die ausländischen Gäste lachten mit wenigen Sekunden Verzögerung (manchmal auch zu früh, Stichwort: Untertitel) herzlich. Der Film hat auch durchaus starke Momente und kann sich in mancher Szene mit Filmen wie „Borat“ messen. Aber eben nicht immer. Besonders wenn der Führer auf normale Passanten gehetzt wird, fällt der Schauspieler aus der Rolle und es erscheint der Eindruck, man hat sich Mühe gemacht, möglichst negative Kommentare zu provozieren. Irgendwie inkonsequent. Hat mich nicht überzeugt.
[TRAILER]
„Kollektivet“
von Tomas Vinterberg
(Wettbewerb)
…ist inszinatorisch eine große Leistung von Tomas Vinterberg, was sicherlich keine Überraschung ist. Trine Dyrholm ist großartig und hat zurecht einen Silbernen Bären für ihr Schauspiel erhalten. Da ich eher ein Fan von Plot bin, trifft dieses Ensemblestück nicht ganz meinen Geschmack, aber beeindruckt mich dennoch sehr. Vor allem wegen der makellosen Führung der Schauspieler, besonders in großen chaotischen Gruppen. Das muss dem Mann erstmal einer nachmachen. Davor habe ich größten Respekt. Und ich weiß nun: ich möchte niemals in einer Kommune leben!
[TRAILER]
„Avant les rues“
von Chloé Leriche
(Generation)
…total interessant, das Leben von Menschen auf der anderen Seite des Globus zu beobachten. Aber nach 20-30 Minuten suchte ich vergeblich nach einer Geschichte, die mich packt. Das war mir zu reduziert und deswegen nicht mein Fall. Ich bin nach 40 Minuten gegangen.
„Quand on a 17 ans“
von André Téchiné
(Wettbewerb)
…ist eine herrliche Coming of Age Geschichte über zwei Teenager, die sich zunächst hassen und im Laufe des Films lieben lernen. Die Coming Out Story entfaltet sich dabei sehr zart und dezent, ist nicht vorhersehbar und selten klischeehaft. Feiner Humor sorgt für ständige Lacher und doch ist der Grundton der Geschichte eher schwer. Die Inszenierung der anfänglichen Mobbing Gewalt ist kraftvoll und ernst. Die beiden Schauspieler strotzen vor Energie und vermitteln permanent das Gefühl von Aufbruch und Befreiung. Das ist ein wirklich guter Film.
[TRAILER]
„Zero Days“
von Alex Gibney
(Wettbewerb)
…ist ein hervorragender Dokumentarfilm über den Cyberkrieg. Er zeigt uns eindringlich, dass die Atombombe von gestern ist. Es sind Cyberwaffen von Staaten, die uns wirklich Sorgen machen sollten. Der Film geht dem Stuxnet Virus auf den Grund, der mutmaßlich von den USA und Isreal entwickelt wurde, um das Atomprogramm des Iran zu schwächen und dabei außer Kontrolle geraten ist. Ich habe nicht nur nachhaltig und umfassend einen Eindruck über ein unterschätztes Thema bekommen, sondern auch einen cineastisch ansprechenden Film gesehen. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als am Ende des Films klar wird, das Stuxnet erst der Anfang ist.
„Goat“
von Andrew Neel
(Panorama)
…zeigt die üblen Aufnahmerituale von Studentenverbindungen an Eliteunis in den USA. Hier leiden wir mit dem Protagonisten als Neuling an einer Uni, der eh schon eine schwere Last auf den Schultern trägt, weil er Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Anstatt einen Neustart hinzubekommen, sieht er sich wieder Gewalt ausgesetzt. Ein Film der unter die Haut geht, der zeigt, wie Macht und Unterdrückung Menschen verändern können. Und doch ist da auch die kleine Faszination für solche Rituale, die einen kitzelt, sofern man sich auf der Seite der Machtinhaber wähnt. Über den Film habe ich lange nachgedacht.
„San Fu Tian“
von Jordan Schiele
(Panorama)
…klang eigentlich ganz interessant, weil ich das schwulen Leben in sozialschwachen Millieus von China kennenlernen konnte. Doch sowohl Drehbuch als auch Inszenierung sind stilistisch irgendwie hölzern. Allein von der Exotik der fremden Welt konnte ich beim Zusehen nicht leben. Die Geschichte hat mich leider überhaupt nicht gepackt.
„Zjednoczone stany milośi“
von Tomasz Wasilewski
(Wettbewerb)
…ist stilistisch auf den ersten Blick nicht mein Ding und würde nachts auf ARTE sicherlich nicht magnetisch auf mich wirken. Aber wenn man sich auf den Film einlässt zeigt er eine große Stärke, die das Werk doch herausragend macht: der Humor. Wasilewski ist wahnsinnig gut darin, durch kleine absurde Beobachtungen eine Komik aus dem tristen Alltag der Protagonisten zu kitzeln, die ich lange so nicht gesehen habe. Die Inszenierung ist ein Lehrstück für schwarzen Humor und Groteske. Ich habe viel für mich mitnehmen können.
[TRAILER]
„Fuocoammare“
von Gianfranco Rosi
(Wettbewerb)
…sollte als Gewinner des Goldenen Bären sicherlich herausragend sein. Doch mir gefällt der Film als Ganzes nicht. Ich habe großen Respekt für die einzelnen Elemente, wie den großartigen Jungen auf Lampedusa oder die beklemmenden Bilder von Leichen in der Kajüte eines Flüchtlingsbootes. Aber mir fehlt der Zusammenhalt der vielen Erzählperspektiven. Die Handlungsstränge berühren sich zu selten und manche Episode stelle ich insgesamt infrage. Und: So schön die Bilder cineastisch auch sind, so wenig berühren sie mich komischerweise. Ich verstehe die Juryentscheidung nicht.
[TRAILER]
„Jonathan“
von Piotr J. Lewandowski
(Panorama)
…zeigt in wunderschönen Bildern den Abschied eines jungen Mannes von seinem krebskranken Vater. Dabei lüftet sich ein dunkles Familiengeheimnis um den Tod der Mutter und eine frühere schwule Liebesbeziehung des Vaters. Alles in allem ein guter Film, aber das Buch folgt leider nicht klar seiner Hauptfigur oder dessen Konflikt. Deswegen zieht es sich teilweise etwas hin und nicht jede Figur entwickelt ihr volles Potential. Jannis Niewöhner ist allerdings mal wieder ein James Dean Memorial und wurde von Regie und Kamera toll eingefangen.
[TRAILER]
„Mahana“
von Lee Tamahori
(Wettbewerb)
…zeigt, dass auch junge Charaktere einen Kinofilm ausfüllen können. Der 14-jährige Sohn einer Maori-Familie im Neuseeland der 60er Jahre, will sich dem patriachalischem Gefüge seiner indigenen Familie nicht länger fügen und stellt die Prinzipien der Macht auf den Kopf. Dabei zeigt uns der Film atmosphärisch die Welt von Feldarbeitern und Schafscherern, die streng vom Ältesten der Familie regiert wird und in eine tiefe Fehde mit einer konkurrierenden Familie verstrickt ist. Der Junge wird zum Hoffnungsträger eines Neuanfangs. Tolle Bilder, sehr emotional und massentauglich, doch aber tiefsinnig. Lediglich die auf alt geschminkte junge Schauspielerin als Großmutter hätte man besser hinbekommen können. Eines meiner Highlights.
[TRAILER]
„Des nouvelles de la palète Mars“
von Dominik Moll
(Wettbewerb)
…ist ein Meisterwerk in schwarzem Humor und Groteske. So klein und fein wie der Film daherkommt, so präzise ist jeder Satz und jede Tat in diesem Drehbuch gestrickt. Der Film hat keinen einzigen Durchhänger, obwohl er von einem Protagonisten handelt, der im Leben komplett durchhängt und mehr und mehr entwurzelt wird. Der Film macht Spaß, hat viel Wärme und ist durch und durch gut gemacht. Tolles Kino.
[TRAILER]
„Grüße aus Fukushima“
von Doris Dörrie
(Panorama)
…hat mich ein bisschen Geduld gekostet, weil der Stil nicht ganz mein Geschmack ist. Der Film entfaltet aber Minute für Minute mehr Potential. Besonders die Schauspielerin der Geisha erfüllt ihre Rolle mit Inbrunst und fesselt einen. Der Blick in die Dead Zone von Fukushima in tristem Schwarzweiss ist zusätzlicher Mehrwert. Das ist wieder ein Film, den ich normalerweise meiden würde und doch hat er mich inspiriert und begeistert. Ich bin froh auf der Berlinale die Gelegenheit zu haben, meinen Horizont durch solche Werke zu erweitern.
[TRAILER]
„Brüder der Nacht“
von Patric Chiha
(Panorama)
…war leider kein glänzender Abschluss für die Berlinale Zeit. Als letzter Film in meinem Programm wollte ich junge Männer aus Bulgarien begleiten, die sich als Stricher in Wien betätigen. Ich habe einen Stoff in der Schublade liegen, der ähnlich ist und so war ich neugierig. Doch die Machart hat mich gelangweilt und blieb nach 30 Minuten immer noch an der Oberfläche. Deswegen bin ich frühzeitig gegangen.
[TRAILER]